Heute Nacht habe ich von Davaa geträumt und mein Herz war schwer. Klingt vielleicht für manche LeserIn verrückt, aber ich glaube Davaa, die ich vor 17 Jahren das letzte Mal gesehen habe, ist heute gestorben.
Ich habe Davaa auf meinen Reisen, 1998 und 2000, durch die Mongolei getroffen. Sie lebte an einem Ort der hieß Khogno Khan. Heute ist der Ort ein Nationalpark mit gleichem Namen und tummeln sich dort viele Touristen. Aber damals Ende der 90 Jahre lebte in diesem Tal nur Davaa mit ihrer kleinen Familie.
Davaa war die, mittlerweile alt gewordene, Tochter eines Kinderlamas. Ihr Vater hatte das Gemetzel überlebt, als die Kommunisten alle Klöster der Mongolei niederbrannten und die buddhistischen Mönche, die Lamas, töteten. Nur die Kinderlamas, kleine Buben die in den Klöstern zur Schule gingen, ließen sie damals am Leben.
Davaas Vater blieb sein gesamtes Leben in der Nähe des niedergebrannten Klosters und bewachte die Ruinen. Am Sterbebett nahm der ehemalige Kinderlama seiner Tochter Davaa das Versprechen ab, das Kloster wieder aufzubauen, sobald die Kommunisten das Land verlassen würden. Als ich Davaa kennenlernte, war der Kommunismus in der Mongolei tatsächlich seit ein paar Jahren Geschichte und Davaa, eine bitterarme Nomadenfrau, renovierte mit ihren beiden Söhnen die ersten Tempel und Gebetsmühlen.
Ich trage Davaa tief in meinem Herzen. Dabei kann ich gar nicht so genau sagen, was uns verband, denn wir hatten keine gemeinsame Sprache. Unsere Sprache war der Blick in unsere Augen, waren Berührungen, war das Zusammensitzen und manchmal sang sie für mich. Davaa lebte am friedlichsten Platz dieser Welt. Außer dem Gemecker ihrer Schafe und dem Singen des Windes, gab es in Khogno Khan nur Stille und Weite.
Ich bin viel gereist in jungen Jahren, war eine eher gehetzte Frau. Keinen Ort besuchte ich zwei Mal. Viel zu groß erschien mir diese Welt, um Zeit zu haben einen Ort noch einmal zu besuchen. Khogno Khan aber zog mich in seinen Bann. Diesen friedlichen Ort wollte ich nicht mehr verlassen. Und ich kam zwei Jahre später wieder! In Khogno Khan war mir als wäre ich angekommen. Es war, als wäre ich hier immer schon gewesen. Auch Davaa war mir vertraut wie kein anderer Mensch je zuvor. Ja, ich war mir sicher schon einmal dort gelebt zu haben. Mit ihr. Mit Davaa.
Am Tag vor der Abreise übersetzte der Sohn für mich ihre Frage „Meine Tochter, warum gehst Du wieder?“ und meine Seele heulte auf. Davaa! Ich hab Rotz und Wasser geheult, als ich Khogno Khan verließ. Zwei Jahre später wiederholte sich unsere Nähe und die Traurigkeit beim Abschied.
Ich habe mich oft gefragt, was passiert wäre, wäre ich geblieben, hätte ich den Mut gehabt zu bleiben. Es war die Angst vor diesem kargen Leben, die mich wieder nach Europa getrieben hat. Die Angst vor dem Risiko. Wie wäre mein Leben wohl verlaufen, wäre ich bei Davaa geblieben?
Heute Nacht habe ich von Davaa geträumt. Das erste Mal seit 17 Jahren. Meine innere Stimme sagt mir, sie ist heute gestorben. Davaa!
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